Pressemitteilung zum Tag gegen Abschiebehaft 30.08.2025

Abschiebehaft ersatzlos streichen! Gegen Entrechtung, Isolierung und (Re)Traumatisierung! Teilhabe statt Abschottung!

Am Samstag, den 30.08., ist der Tag gegen Abschiebehaft. Wir wollen diesen Tag nutzen, um auf das Unrecht in deutschen Abschiebegefängnissen, besonderen das Gefängnis in Ingelheim, aufmerksam zu machen.

Anlässlich des Tages gegen Abschiebehaft wird es eine Demonstration in Ingelheim um 14:00 Uhr geben. Wir beginnen am Sebastian-Münster-Platz und ziehen von dort vor die Mauern des Abschiebegefängnisses. Um miteinander ins Gespräch zu kommen, sowie Aufmerksamkeit und Bewusstsein für diese Form von institutionellem Rassismus zu schaffen, rufen die Soligruppe INGA, das Ingelheimer Bündnis gegen Rassismus und Gewalt, das offene antifaschistische Treffen Bingelheim, das Mainzer antifaschistische Kollektiv in Theorie und Aktion und die antirassistische Gruppe Mainz zur Demonstration gegen den Abschiebeknast in Ingelheim auf. Das Abschiebegefängnis erzeugt Leid, ist politisch gewollt und der Vollzug findet viel zu oft im Verborgenen statt.

Im Abschiebegefängnis in Ingelheim werden jährlich ca. 400 Menschen inhaftiert – Tendenz steigend. Dies geschieht oft ohne Vorwarnung – dabei wissen die Menschen häufig nicht, wieso oder wie lange sie inhaftiert werden. Gefangene berichten immer wieder, dass sie nicht verstehen, warum sie nun eingesperrt sind. Die Menschen werden dort nicht inhaftiert, weil sie eine Straftat begangen haben, sondern nur um die Abschiebung zu sichern. Die Gefängnisse werden oft als „Gewahrsamseinrichtung“ oder „Unterbringungseinrichtung“ betitelt und Politiker*innen sprechen immer wieder von „Untergebrachten“ und nicht von Gefangenen. Was dort aber passiert, ist das Einsperren von Menschen, nur um sie für Ausländerbehörden und Polizei verfügbar zu halten.

Es ist bekannt, dass Abschiebehaft Menschen (re)traumatisieren kann, sogar mit tödlichen Folgen. Immer wieder versuchen und nehmen sich Menschen in Abschiebehaft das Leben, oder sterben während, wie nach der Abschiebung. Allein für den Tag des 30.08. gibt es mehrere Beispiele: Kola Bankole wurde am 30.08.1994 auf einem Abschiebeflug durch den Bundesgrenzschutz mit einem Knebel im Mund erstickt. Rachid Sbaabi starb am 30.8.1999 in der Arrestzelle des Bürener Abschiebegefängnisses an einer Rauchvergiftung, da die Matratze in seiner Einzelzelle Feuer gefangen hatte. Trotz Betätigung des Alarms kamen die Polizisten erst nach 15 Minuten. Altankhou Dagwasoundels starb am 30.8.2000 beim Versuch, sich aus dem sechsten Stock des Krankenhauses Köpenick mit verknotetem Bettzeug abzuseilen. Er war nach vier Wochen in Abschiebehaft in das Krankenhaus eingeliefert worden. Sein Zimmer wurde von zwei Beamten bewacht. Viele weitere Fälle finden sich in der Dokumentation der Antirassistischen Initiative Berlin, welche minutiös die Toten deutscher Abschottungspolitik seit Jahrzehnten dokumentiert. Die psychologische Betreuung der Gefangenen in Ingelheim ist auf zwei Stunden die Woche veranschlagt – bei einer Haftanstalt mit 40 Plätzen! Auch die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter hat dies als weit unzureichend kritisiert.

Menschen in Abschiebehaft werden aus ihrem Umfeld gerissen, in Behörden oder auf der Arbeit festgenommen, und weggesperrt – und dies oft zu Unrecht. In über der Hälfte der angefochtenen Fälle war die Haft rechtswidrig. Hier die Zahlen rechtswidriger Haft in Ingelheim: 2015: 53,8%; 2016: 52,3%; 2017: 45,6%; 2018: 44,6%; 2019: 55 %; 2020: 57,5 (Quelle: 20 Jahre ökumenisches Engagement in der Abschiebungshaft Ingelheim). Verlässliche Zahlen von staatlicher Seite gibt es nicht, da diese nicht erhoben werden. Wir fragen uns ob dies bei der hohen Anzahl rechtswidriger Haft bewusst geschieht? Getreu dem Motto: „Keine Zahlen, kein Problem.“ Auch sucht mensch vergebens nach allgemeinen Zahlen zur Dauer oder Anzahl der Inhaftierungen, wie viele wieder frei gelassen werden mussten, nach Informationen zum Haftalltag, usw. Der Freiheitsentzug ist das schärfste Mittel eines Rechtsstaats, wird auf eine marginalisierte Gruppe hier angewandt und nirgendswo findet sich irgendeine Form von Rechenschaft darüber. Das kann nicht sein.

Auch wenn seit kurzem endlich ein*e Pflichtverteidiger*in in Abschiebehaftverfahren beigeordnet wird, so heißt dies nicht gleich, dass sich die Situation für Inhaftierte maßgeblich verbessert. Zum einen gibt die gesetzliche Lage sehr weite Möglichkeiten Menschen einzusperren, um sie Abschiebung zu können; zum Anderen mehren sich die Berichte von Verteidiger*innen, die sich in dem Feld nicht auskennen oder einfach untätig sind. Um dann aus der Pflichtverteidigung heraus zu kommen ist mitunter schwierig und kostspielig. Das reine Bestellen einer anwaltlichen Vertretung löst also aus unserer Sicht nicht das grundsätzliche Problem Abschiebehaft.

Die Anzahl an Gefangenen in Abschiebehaft steigt, besonders seit dem Regierungswechsel. Von den 40 Haftplätzen sind zur Zeit oft sogar alle belegt – und das bei gleichzeitigem Personalmangel – zwei Sozialarbeiter*innen-Stellen im Gefängnis sind seit längerem unbesetzt. Umso schwerwiegender ist es, dass die Inhaftierten keine Handys nutzen können. Sie sind damit einer Isolierung ausgesetzt und haben kaum Möglichkeiten, Unterstützung außerhalb des Gefängnisses zu erhalten oder Kontakt mit Angehörigen aufzunehmen.

Deutschland hat kein Vollzugs- oder Abschottungsdefizit, sondern ein Anerkennungsdefizit! Anerkennung dafür, dass die Menschen, die zu uns kommen ein Recht darauf haben hier zu bleiben! Anerkennung dafür, dass die Menschen, die hier sind, Teil unserer Gesellschaft sind! Anerkennung dafür, dass Abschiebungen gesellschaftliche Probleme nicht lösen, sondern diese nur gemeinsam angegangen werden können! Anerkennung dafür, dass nur ein gemeinsamer Weg mehr Schutz für Alle schafft!

Für das Recht zu gehen und zu bleiben! Gemeinsam gegen Abschiebehaft! Für eine Gesellschaft der Teilhabe und Vielfalt!

Unterzeichner*innen der Pressemitteilung:

Soligruppe INGA – Soligruppe gegen den Abschiebeknast Ingelheim

INGA will eine Gesellschaft, in der alle solidarisch miteinander umgehen. Eine Gesellschaft, in der sich Menschen gegenseitig unterstützen, aufeinander Rücksicht nehmen, Probleme gemeinsam angehen und lösen. Eine Gesellschaft, die alle einbezieht, an der alle teilhaben können und die Menschen nicht zu vermeintlich ‘Fremden’ macht und ausschließt. Für diese Gesellschaft kämpfen wir.

Antirassistische Gruppe Mainz

Eine freie Gesellschaft, ohne Sondergesetze für Geflüchtete, die deren Entrechtung bedeuten und ohne Abschiebeknäste ist unser Ziel. Wir setzen uns ein für globale Bewegungsfreiheit und beteiligen uns am kollektiven Widerstand gegen das rassistische Regime der Migrationskontrolle. Mit Aktionen und Veranstaltungen thematisieren wir die rigorose Abschottungspolitik und rassistische Hetze mit ihren verschiedenen Facetten.

OAT Bingelheim

Es gibt kein ruhiges Hinterland! Antifaschistische Arbeit ist notwendig! Das Offene antifaschistische Treffen Bingelheim organisiert sich selbstbestimmt gegen Faschismus, Kapitalismus und jegliche Unterdrückung. Wir wollen eine solidarische Gesellschaft, in der alle Menschen unabhängig von Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung oder sozialem Hintergrund frei leben können. Um antifaschistische Räume zu verteidigen, organisieren wir Veranstaltungen in Form von Vorträgen, Workshops, Demos, infoständen uvm. Wir treffen uns jeden 3. Montag im Monat. Kommt rum.